BLOG

Europa hat gewählt – was jetzt!?...

Veröffentlicht am - 9 min Lesezeit

Europa hat gewählt – was jetzt!?

185 Millionen Menschen in 27 Ländern haben bei den Europawahlen abgestimmt. Einige Wochen später reflektieren wir über die Ergebnisse und überlegen, was diese für die Zukunft Europas bedeuten könnten.

Wegweiserschild mit der Aufschrift: "Europe" Pfeil nach rechts

Teile diesen Beitrag


Isabelle Görres, Alberta Ivaldi

Inhalte

Die Wahlen

Erstmal ein kleiner Rückblick: Vom 6. bis 9. Juni gaben europäische Bürger ihre Stimmen ab, meist für nationale und einige supranationale Parteien (wie zum Beispiel Volt). Entsprechend der Prozentzahl ihrer Stimmen erhalten die Parteien Sitze im Europäischen Parlament (EP) und entsenden Politiker von ihren Listen. Im EP schließen sich die verschiedenen nationalen Parteien nach politischer Ausrichtung zu Fraktionen zusammen. Das klingt erstmal kompliziert, bedeutet aber nur, dass alle nationalen konservativen Parteien zusammenarbeiten, ebenso wie Sozialdemokraten, Liberale, Grüne usw. Während das Wahlalter in den meisten Ländern der Union 18 Jahre beträgt, durften in Österreich, Belgien, Malta, Griechenland und Deutschland auch 16- oder 17-Jährige wählen.

Schau dir die Wahlergebnisse auf unser extra angefertigten Seite an: Los geht's

Ergebnisse in Zahlen

Europawahl Ergebnisse

Mit einer durchschnittlichen Wahlbeteiligung von 51 % (in EU-Mitgliedstaaten) waren mehr Wähler aktiv als bei den letzten Wahlen 2019. Die mitte-rechts Fraktion, Europäische Volkspartei (EVP), ging mit 26,39 % und 190 Sitzen als Hauptgewinner aus den Wahlen hervor. Zweiter wurden die Sozialdemokraten (S&D) mit 18,89% und 136 Sitzen. Wie vorhergesagt, haben rechtsextreme Parteien seit den letzten Wahlen an Sitzen gewonnen. Sie verteilen sich auf zwei Fraktionen im Europäischen Parlament: die Europäische Konservative und Reformer (EKR) mit 76 Sitzen und die Identität und Demokratie (ID) mit 58 Sitzen. Zusätzlich gibt es einige nationale rechtsgerichtete Parteien, die noch keiner Fraktion angehören und in den Kategorien 'Fraktionslos (NI)' und 'Sonstige' gesammelt werden. Rechtsextreme Parteien waren besonders in Frankreich und Deutschland erfolgreich, was auch die beiden Mitgliedsstaaten sind, die für die Hauptverluste der Grünen verantwortlich sind. Der Anstieg der rechten und populistischen Parteien war jedoch nicht so stark wie vorhergesagt, und die die Fraktionen in der politischen Mitte, also weder stark rechts noch stark links, können immer noch breite Partnerschaften bilden, um Gesetze zu verabschieden. Da das Europäische Parlament jedoch nicht durch eine stabile Koalition, sondern eher durch themenbezogene Koalitionen arbeitet, die sich je nach Gesetzesvorschlag bilden - und da Gruppen nicht immer geschlossen abstimmen - könnten enge Abstimmungsergebnisse insbesondere bei heiklen Themen die Folge sein.

Junge Wähler:innen und der Rechtsruck

Wie haben die jungen Leute gewählt? In Übereinstimmung mit früheren Statistiken haben die Jugendlichen meist für zentristische bis linke Parteien gestimmt. Der Anstieg der Popularität rechtsextremer Parteien war jedoch in dieser Altersgruppe steiler. In Deutschland zum Beispiel haben 16 % der 16- bis 24-Jährigen für die rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD) gestimmt – ein Anstieg um 11 Prozentpunkte im Vergleich zu vor fünf Jahren. Ein oft zitierter Grund dafür ist die Präsenz der AfD in sozialen Medien, insbesondere auf TikTok. 57 % der jungen Menschen beziehen ihre Nachrichten und politischen Informationen über soziale Medien. Während Politiker etablierter Parteien erst in den letzten Monaten begonnen haben, auf dieser Plattform zu arbeiten, haben AfD-Kandidaten sie zu einem wesentlichen Element ihrer Kampagnen gemacht. Ihre kurzen Clips verwenden oft Animationen und auffällige Phrasen, um scheinbar einfache Antworten auf die meisten politischen Probleme zu liefern – wählt die AfD. Viele der Videos behandeln Themen, die scheinbar für junge Wähler relevant sind, wie Mobbing, religiöse Praktiken in Schulen, Belästigung im öffentlichen Verkehr, aber auch Außenpolitik und die geschwächte Wirtschaft. Besonders die Jugend wurde von den verschiedenen Krisen der letzten Jahre getroffen, sei es Covid-19, der Krieg in der Ukraine oder der Konflikt zwischen Israel und Palästina, was zu einem Vertrauensverlust in etablierte politische Systeme und einer Zukunftsangst führte. Die AfD spricht diese Bedenken an und bietet alternative Lösungen an.

Eine andere Partei, die diese Probleme mit Blick auf die Interessen der Jugend ansprach, war die internationale Partei Volt. In der Altersgruppe zwischen 16 und 25 Jahren erhielten sie 9 % der Stimmen. Generell neigen junge Wähler dazu, Oppositions- und Kleinparteien zu wählen, was auch die Verluste der Grünen in Deutschland erklären könnte, die seit 2021 in der Regierungskoalition sind.

Wenn in Frankreich und Deutschland ein starker Anstieg der Unterstützung für die extreme Rechte unter jungen Menschen zu verzeichnen ist, stellt Italien eine bedeutende Ausnahme dar. Unter den Wahlberechtigten erhielten rechte Parteien wie Fratelli d'Italia, Lega und Forza Italia in der Altersgruppe der 45- bis 60-Jährigen mehr Zustimmung, während die Mehrzahl der jungen Menschen (insbesondere in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen, aber auch in der Altersgruppe der 30- bis 44-Jährigen) für Mitte-Links (PD, Azione, Stati Uniti d'Europa, AVS) stimmte. Besonders bemerkenswert ist die Zahl der Stimmen für das Alleanza Verdi-Sinistra (AVS) - eine sozialistische Koalitionspartei, die sich für Umwelt- und Bürgerrechte einsetzt: Diesmal wurde nicht nur die Sperrklausel überschritten, sondern waren die Stimmen der Jugendlichen dafür entscheidend.

Was kommt als nächstes für Europa?

Die neue Zusammensetzung des Europäischen Parlaments wird die politische Diskussion in der EU in den nächsten fünf Jahren sicherlich beeinflussen. Das muss auch im Kontext der Aufgaben des EP im EU-Gesetzgebungsprozess gesehen werden. Während die Kommission das Recht hat, neue Gesetze vorzuschlagen, müssen das Europäische Parlament sowie der Rat diese Gesetze genehmigen und können Änderungen verlangen. Aufgrund dieser Aufgabenteilung wird die höhere Zahl rechtsgerichteter Politiker wahrscheinlich nicht zu einer vollständigen Umkehrung des Kurses der EU führen, jedoch wird es die Verabschiedung neuer progressiver Gesetze erschweren und könnte einige politische Prozesse zum Stillstand bringen. Was ist demnach die Prognose für Themen, die für die uns Jugendlichen wichtig sind?

Klima

In der letzten Legislaturperiode hat die EU den Green Deal, ein Bündel von Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und von CO2-Emissionen, zu einem ihrer wichtigsten Projekte gemacht. Gestärkte populistische Stimmen im Parlament, bergen das Risiko, die Bedrohung durch die globale Erwärmung herunterzuspielen sowie die Kosteneinsparungen und wirtschaftlichen Vorteile der Green Transition zu ignorieren. Diese Debatten werden wahrscheinlich die bevorstehenden Entscheidungen über die Festlegung verbindlicher Ziele für 2024 zur Reduzierung der Treibhausgase um 90 % und die Entwicklung konkreter Wege zur Erreichung dieses Ziels beeinflussen. Rechte Kräfte könnten auch versuchen, Schlupflöcher zu finden, um bestehende Gesetze zu schwächen. Eine weitere Möglichkeit zur Verwässerung der Klimaschutzes ist die für die nächsten Jahre geplante Überprüfung von Gesetzen wie dem Ausstieg aus dem Verkauf neuer Verbrennungsmotoren bis 2035, der während der EU-Wahlkampagne kritisiert wurde, auch von Abgeordneten der EVP. Ein weiterer entscheidender Faktor werden die Verhandlungen über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen sein, also das EU-Budget. Weniger Mittel für den Green Deal bedeuten weniger erreichbare Ziele und weniger Unterstützung für die EU-Mitgliedsländer bei der Umstellung ihrer Wirtschaft. In dieser Hinsicht könnte die EU ihre Vorreiterrolle in der Klimapolitik verlieren und damit andere Nationen entmutigen, die weniger wirtschaftliche Ressourcen als die EU haben, um die Transformation umzusetzen.

Migration und Asyl

Migration und Asyl waren eines der präsentesten und polarisierenden Themen des Wahlkampfs und des öffentlichen Diskurses, wo der Ruf nach stärkeren Maßnahmen dominierte. Wähler nannten Migration neben Sicherheit, Klima und Wirtschaftskrise als eines ihrer Hauptanliegen. Während der Wiederaufbau des Vertrauens in die Migrationspolitik eine wesentliche Herausforderung für das EP als demokratisch gewähltes Organ sein wird, ist seine Rolle bei der Gestaltung dieses Themas eher begrenzt. Einerseits wird die Rolle des EPs bei der Umsetzung des kürzlich verabschiedeten Neuen Pakts zu Migration und Asyl marginal sein. Zum anderen, beschränkt sich die Aufgabe bei der Überwachung der EU-Agenturen an den Außengrenzen (insbesondere Frontex) ebenfalls vor allem auf die Kontrolle der Finanzierung. Darüber hinaus könnte es schwierig sein, einen bedeutungsvollen Einfluss auf die Ambitionen der Mitgliedstaaten zur Externalisierung der Migrationskontrolle auszuüben, die insbesondere bei mitte-rechts und rechtsgerichteten Parteien als Priorität identifiziert wurden.

Demokratische Reformen

Die Diskussion über Jugend in der Politik ist auch immer eine Frage der Partizipation und damit der Frage, wie demokratisch unsere Demokratie wirklich ist. Die EU wurde lange kritisiert, nicht demokratisch genug oder sogar überhaupt nicht demokratisch zu sein, da das EP das einzige direkt von den Bürgern gewählte EU-Gremium ist. Während in vielen Mitgliedsstaaten sowie Deutschland und Italien auch nur das Parlament direkt gewählt wird, hat das EP weniger Einfluss als die meisten nationalen Parlamente. Es gab verschiedene Ansätze, um diesen Mangel an Demokratie zu beheben, so zum Beispiel das Abschaffen des Vetorechts der Staaten im Rat, die Formalisierung von Partizipationskanälen wie der Konferenz zur Zukunft Europas oder den Europäischen Bürgerpanels. Während diese bisher optionale oder alleinstehende Projekte waren, könnte eine Formalisierung bedeuten, sie zu einem obligatorischen Teil des Gesetzgebungsprozesses oder ihre Ergebnisse verbindlich zu machen. Demokratische Reformen wie diese wurden von nationalen Wahlkampagnen meist übersehen, und ein stärker gespaltenes Parlament mit einer gestärkten Rechten wird Schwierigkeiten haben, die notwendigen Veränderungen voranzutreiben. Besonders, da die Parteien, die sich in ihren Wahlprogrammen am stärksten für EU-Reformen ausgesprochen haben, Renew Europe und die Grünen, erhebliche Verluste erlitten haben.

Egal ob ihr mit dem Ergebnis der Wahlen zufrieden seid oder nicht (das ist auch ein normaler Teil einer Demokratie), mit den Wahlen ist nicht alles vorbei! Es gibt zahlreiche Möglichkeiten sich auch in der Zeit zwischen den Wahlen politisch in der EU einzusetzen. Check dafür gerne unseren Post zu Partizipationsmöglichkeiten für junge EuropäerInnen!

Quellen:

Verfügbar in

Folge uns

Teile diesen Beitrag

Geschrieben vom Team

German-Italian Young Voices

Nato dal Manifesto dei Giovani, il nostro progetto riunisce giovani italiani e tedeschi ed è parte attiva della campagna di sensibilizzazione per le elezioni europee del 2024. Ci appassiona suscitare l'interesse dei giovani per la politica europea e amplificare le loro voci nel dibattito pubblico. Scoprite qui come potete entrare a far parte del nostro movimento e contribuire a plasmare il futuro dell'Europa.

Autorinnen und Autoren